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Trotz seiner lebenslangen Beschäftigung mit der Philosophie Kants
war Reich von einer bekenntnishaften Kantorthodoxie weit entfernt.
Wenn er, der große Gelehrte, dessen umfassendes historisches
Wissen und genaue Kenntnis der bedeutenden Texte der Vergangen-
heit keinen Vergleich zu scheuen brauchten, aufgrund seiner
kritischen Scheidung des Unhaltbaren vom Weiterführenden in der
Geschichte des philosophischen Denkens zu dem Ergebnis kam,
daß es die Philosophie Kants sei, die es am meisten verdiente,
analysiert, erklärt und verteidigt zu werden, so war diese philo-
sophiehistorische Option gegründet in einem ganz gegenwärtigen
Interesse an der Wahrheit und Begründbarkeit von Erkenntnis, fernab
von einer Vorliebe des Historikers für bestimmte Epochen und von
einer sich selbst genügenden philologischen Hermeneutik. Reich
glaubte, daß Kant, insbesondere in seiner Raumtheorie, in seiner
Urteilslehre und in der Rechtsphilosophie, auf einen trag- und aus-
baufähigen festen Grund gestoßen sei, aber seine vom Geiste der
Kritik durchdrungenen historischen Studien waren in der Heraus-
arbeitung der kantischen Problemstellungen und der Entwicklungs-
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